Abschiebungen

NOT SAFE – Ein subjektiver und kritischer Ein- und Ausblick in die
gegenwärtige aktivistische Praxis
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Was sind die aktuellen Themen und Kämpfe, die die aktivistische Praxis
der Karawane München beeinflussen und formen? Dieser Frage wollen wir
uns im folgenden Artikel annähern. Dies geschieht aus der subjektiven
Perspektive der Autorinnen heraus, die keinen Anspruch erheben für alle
Mitglieder und Ohneglieder der Karawane München zu sprechen.
Nichtsdestotrotz sehen wir in dieser kritischen Selbstbefragung und
Reflexion ein notwendiges Werkzeug, um die gegenwärtige aktivistische
Praxis für Außenstehende genauso wie für uns selbst nachvollziehbar zu
machen und somit zur Verortung des eigenen Handelns beizutragen.

**Rückblick über Abschiebepraxis und Proteste**

Seit im Herbst 2016 im Zuge stetiger Verschärfungen in der Asyl- und
Abschiebepolitik von EU, Bund und Ländern das deutsch-afghanische
Rücknahmeabkommen sowie eine entsprechende EU-Vereinbarung abgeschlossen
wurden, beschäftigt sich die Karawane München intensiv mit dieser
Thematik. Mittels finanziellem Druck wurde die afghanische Regierung in
die eigene Abschiebepolitik eingebunden. Sie soll demnach die Umsetzung
europäischer Ziele, wie regelmäßige Abschiebeflüge und die langfristige
Rückführung von 80 000 Menschen, ermöglichen. Seit der erste
Abschiebecharter am 14.12.2016 vom Flughafen Frankfurt nach Kabul abhob,
folgten – bis zum jetzigen Zeitpunkt – zwölf weitere Sammelabschiebungen
von Deutschland nach Afghanistan. Lediglich nach dem schweren Anschlag
auf die deutsche Botschaft in Kabul, mit mehr als 150 Toten und über 400
Verletzten im Mai 2017, wurden die Abschiebungen kurzzeitig ausgesetzt.

Mit Horst Seehofer als Innenminister sind ein Wandel im aktuellen
Afghanistan-Kurs und ein ausnahmsloser Abschiebestopp für Afghanistan
nicht zu erwarten. Hierbei wird die gegenwärtige, katastrophale
Sicherheitslage, die auch aus dem Bericht der UN-Mission in Afghanistan
UNAMA vom Februar 2018 sowie dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom 31.05.2018 eindeutig ersichtlich ist, bewusst ignoriert.
Lebensgefahr und Perspektivlosigkeit für die Abgeschobenen werden
eiskalt in Kauf genommen – für eine Politik der harten Hand, der
rassistischen Hetze und für die Steigerung von Abschiebezahlen.

Gemeinsam mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat setzte sich die Karawane
München das Ziel, jedem Abschiebeflug nach Afghanistan eindeutigen
Protest entgegenzusetzen und Strukturen für kritische Interventionen zu schaffen. Bisher fanden, je nach Abflugsort, Demonstrationen und Kundgebungen in der Innenstadt oder
direkt am Münchner Flughafen statt.

Im Winter 2016/2017 wurden die ersten Abschiebungen nach Afghanistan in
weiten Teilen der Gesellschaft noch als Tabubruch in Sachen
Menschlichkeit gesehen. Unter großer medialer Aufmerksamkeit fanden in
München und vielen anderen Städten große Demonstrationen parallel zu den
Abschiebeflügen statt.

Zum einen war der sichtbare und breite Protest motivierend und ließ
kurzzeitig an einen direkten Einfluss des zivilgesellschaftlichen
Widerstands auf die politische Debatte glauben. Zum anderen war und ist
besonders bei den Demonstrationen am Flughafen ein Gefühl der Ohnmacht
zu spüren. Schließlich ist klar, das Flugzeug wird abheben, egal wie
laut wir schreien.

Nach der Abschiebepause und dem Beschluss im Juni 2017 „nur“ noch
„Straftäter“, „hartnäckige Identitätsverweigerer“ sowie „terroristische
Gefährder“ abzuschieben, verlor der Protest deutlich an Fahrt. Die
öffentliche Empörung und das mediale Interesse gingen stark zurück. Die
Teilnehmerzahlen gegen die wieder monatlich startenden Abschiebecharter
pendelten sich auf etwa einhundert Personen aus Helferkreisen und der
Antira-Szene ein. Die perfide Legitimierung von Abschiebungen von
bestimmten Personengruppen stellte sich als ein geschickter Schachzug
der Regierung heraus. Ausschließlich „Straftäter“, „terroristische
Gefährder“ und „hartnäckige Identitätsverweigerer“ abzuschieben,
widerspricht der Logik eines Rechtsstaats, in dem Strafverfolgungs- und
nicht Ausländerbehörden eine Bestrafung vornehmen und ist leicht als
Vorstoß eines rechten Populismus zu entlarven.

Gerade weil Forderungen nach einem „starken Staat“ und einer harten
Abschiebepolitik aus immer weiteren Teilen der Gesellschaft kommen und
sich auch zunehmend in der Medienlandschaft etablieren, ist unser
Widerstand unabdingbar! Gleichzeitig zehren die monatlichen
Demonstrationen an den Ressourcen der veranstaltenden Gruppen, Fragen
des Wirkungsgrades dieser Protestform drängen sich auf und es wird
deutlich, dass das Thema Afghanistan-Abschiebungen seit eineinhalb
Jahren einen Großteil der Kapazitäten der Karawane in Anspruch nimmt.
Aus antirassistischer Perspektive muss nachgehakt werden, wie dieser
länderspezifische Fokus entstanden ist, warum er vielleicht Sinn macht,
ob man ihn aufrecht erhalten oder sich davon abwenden sollte.

**Aktivismus zwischen reagieren und agieren**

Das übergeordnete Ziel der Karawane München ist es gemeinsam mit Gruppen
und betroffenen Einzelpersonen aus den jeweiligen Communities Proteste
und Kämpfe zu organisieren. In München und Bayern leben viele Menschen
aus Afghanistan. Unsere intensive Auseinandersetzung mit Afghanistan ist
maßgeblich durch die Zusammenarbeit mit aktivistischen, afghanischen
Akteur\*innen aus in München und Bayern gewachsen.

Zudem nehmen wir an, dass einem großen Teil der Öffentlichkeit bewusst
ist, dass es sich bei Afghanistan um ein Land im Kriegszustand handelt
und ein Leben in Sicherheit dort nicht möglich ist. Dies ließ zunächst
auf einen erfolgsversprechenden, breiten Protest hoffen, der
realpolitische Relevanz haben könnte. Diese Annahme hat sich nicht
bestätigt. Aktuell hat die Bundesregierung mit Bezug auf den neu
erschienenen Lagebericht des Auswärtigen Amts die Beschränkungen für
Abschiebungen von „Straftätern“ und sogenannten „Gefährdern“ sowie
„hartnäckigen Identitätstäuschern“ wieder aufgehoben. Das Erlangen eines
generellen Abschiebestopps ist damit in weite Ferne gerückt.

Für uns stellt sich die Frage, ob wir weiterhin jeden Abschiebeflug mit
einer Demonstration begleiten können oder ob andere Protestformen
zielführender sind.

So stellt die Unplanbarkeit, aber auch die Regelmäßigkeit der Aktionen
ein Problem für unsere Struktur sowie den Protest dar. Da erst nach der
meist kurzfristigen Bekanntgabe der Abschiebetermine geplant und
mobilisiert werden kann, sind größere Demonstrationen mit einer
breiteren Reichweite kaum zu realisieren. Des Weiteren müssen in einem
kurzen Zeitraum ad hoc Ressourcen unsererseits abrufbar sein. Ferner
drängt sich das Bild auf, nur noch auf die Taktung der perfiden
Abschiebemaschinerie zu reagieren anstatt den Protest selbst zu
gestalten.

Aber gerade jetzt, in einer Zeit in der die Forderungen nach
konsequenter Durchführung von Abschiebungen um jeden Preis, die
Kriminalisierung von Flucht sowie der Inanspruchnahme des Rechts auf
Schutz durch Asyl Einzug in den öffentlichen Diskurs halten, scheint es
uns unabdingbar, nicht einzuknicken und diesen menschenverachtenden
Anschauungen die Forderung nach einer offenen und solidarischen
Gesellschaft, für das Recht auf Freizügigkeit für Alle und für das Recht
zu bleiben, entgegenzusetzen.

Um eine breitere Öffentlichkeit und Akteur\*innen außerhalb des
antirassistischen Spektrums wieder für das Thema
„Afghanistan-Abschiebungen“ zu sensibilisieren und weitere Protestformen
zu etablieren, starteten wir im April 2018 eine Banneraktion. Das
NotSafe-Bündnis rief dazu auf, an den Tagen der Abschiebeflüge Banner
mit der Forderung: „Keine Abschiebung nach Afghanistan“ aufzuhängen und
sich damit klar gegen die Abschiebepolitik der Bundesregierung zu
positionieren. Circa 40 verschiedenste Vereine, Gruppen, Organisationen
und Einzelpersonen haben durch das Aufhängen der Banner ein sichtbares
Zeichen im öffentlichen Raum gesetzt und sich solidarisch mit den
Betroffenen gezeigt. Des Weiteren ist im Juli 2018 eine Konferenz des
Bündnisses geplant, um Vernetzung voranzutreiben, Informationen
auszutauschen sowie unterstützende und beratende Strukturen besser
zugänglich zu machen.

Die Fokussierung auf den Kampf gegen Abschiebungen nach Afghanistan
zieht berechtigter Weise kritische Fragen nach sich. Zwar deuten wir
diesen Kampf als stellvertretend für alle Bleiberechtskämpfe, trotzdem
nehmen wir dadurch in Kauf, von anderen Communities als parteiisch für
eine spezifische Gruppe wahrgenommen zu werden. Entsprechend ist die
Gefahr groß, dass sich andere Personen mit ihren Kämpfen und Belangen
nicht repräsentiert fühlen.

Weiterhin birgt der spezifische Kontext der Afghanistan-Abschiebungen
auch argumentative Fallstricke. So muss kritisch reflektiert werden,
dass die Argumentation: „Abschiebungen nach Afghanistan sind aufgrund
der länderspezifischen Kriegssituation zu verurteilen“, in einem
fehlgeleiteten Umkehrschluss die Aussage nach sich zieht, dass
Abschiebungen in anderen Kontexten legitim wären.

Zudem macht uns die gegenwärtige Lage immer deutlicher, welchen Themen
und Kämpfen wir aktuell nicht ausreichend Aufmerksamkeit und vor allem
Kapazitäten widmen beziehungsweise widmen können. Wie zum Beispiel der
rigorosen Beschneidung eines selbstbestimmten Lebens in der Isolation
der sogenannten Transitzentren, die als Vorbild für die geplanten
Ankerzentren fungieren, in denen das Recht auf Asyl durch beschleunigte
Verfahren ausgehöhlt wird. Oder auch die zunehmenden, starken
Repressionen gegen Geflüchteten-Proteste. Und damit sind nur die
„innerpolitischen“ Vorkommnisse angeschnitten. Mit Blick auf das
„außenpolitische“ Agieren der Politik müssen die Abschiebeabkommen mit
unterdrückenden Regimen genauso genannt werden, wie die dadurch
entstehende desaströsen Bedingungen für Geflüchtete in den Dublin- und
Transitstaaten entlang der Fluchtrouten.

Der vermeintlich formulierten Forderung aus der Bevölkerung nach einem
Erstarken der Nationalstaaten wird im gegenwärtigen formalpolitischen
Kontext vor allem durch entmenschlichende rassistische Diskurse und
Praktiken auf dem Rücken von geflüchteten Personen ausgetragen. Die
Fluchtgründe werden dabei ausgeblendet und sich somit der Verantwortung
gegenüber den Problemen, die ein kapitalistisches System und seine
Lebensweise verursacht, entzogen.

Demzufolge sehen wir die dringende Notwendigkeit der Fusion von
antifaschistischen, antirassistischen sowie antikapitalistischen Kämpfen
und Energien: \#REVOLUTION.

Weiteres Material:

Redebeitrag von der Karawane München anlässlich der Abschiebungen nach Afghanistan