Auftakt der Karawanetour ‘07 in Neuburg

up1.png

Hier ein Bericht zum Auftakt der Karawanetour ’07 in Neuburg. Er wurde von uns schon in anderen Medien publiziert.

Samstag, 19. Mai 2007

Sommer, Sonne, Widerstand ab nun auch bei Karawane: Die bundesweite Karawanetour 07 nach Heiligendamm startete gestern in Neuburg an der Donau (Bayern). In den nächsten zwei Wochen werden an 16 Stationen Aktionen stattfinden, die die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen thematisieren werden.

Insbesondere bereits bestehende lokale Kämpfe wie in Blankenburg, Bramsche, Forchheim, Freibessingen oder Neuburg a. d. Donau sollen hierdurch unterstützt werden. Die Kampagnen gegen die Abschiebedrohungen zweier Karawaneaktivisten, Engin Celik aus Kurdistan und Yabre Omarou aus Burkina Faso sollen forciert werden. Die rassistische Polizei- und Staatsbrutalität wird in Düsseldorf und Dortmund angeklagt, während die bevorstehenden Änderungen des Ausländer- und Asylrechts in Berlin entlarvt werden. Enden wird die Tour in Rostock um sich an den Anti-G8 Protesten zu beteiligen, getreu dem alten KARAWANE-MOTTO: „We are here because you destroy our countries.“

In Neuburg regt sich seit 2005 Widerstand gegen Lagerunterbringung und Abschiebeterror. Um diesen Kampf zu unterstützen fanden sich heute KarawaneaktivistenInnen aus dem gesamten Bundesgebiet in Neuburg ein. Gegen zwei Uhr startete die Auftaktdemonstration der Karawane Tour vor dem Neuburger Flüchtlingslager, welches das größte in Bayern ist: Mehrere Hundert Flüchtlinge leben dort in den heruntergekommen Gebäuden einer alten Kaserne am Rande der Stadt. Das Ausländeramt Neuburg ist zudem berühmt berüchtigt für seine restriktive Praxis der Erteilungen von Arbeitserlaubnissen, Duldungen und der Vergabe von Genehmigungen zum legalen Verlassen des Landkreises.

Wir betteln nicht darum hier zu sein. Wir wurden gezwungen unsere Heimat zu verlassen. Niemand verlässt seine Familie und Freunde freiwillig, um in diesem kalten rassistischen Land unter diesen Bedingungen zu leben, wie beispielsweise in diesem erbärmlichen Lager in Neuburg

erklärte der Sprecher der Karawane in der Eröffnungsrede. In seiner Rede erinnerte er an die Opfer rassistischer Staatsgewalt:

Bis heute spüren wir den Schmerz unserer Schwestern, die in Bremer Abschiebehaft vergewaltigt wurden. Nicht vergessen ist der Schmerz über den Verlust unseres Bruders Oury Jalloh, der in Dessauer Polizeigewahrsam an Händen und Füssen gefesselt verbrannt wurde.

Er stellte klar:

Niemand wird unsere Stimme zum Schweigen bringen!

Ca. 120 Flüchtlinge und UnterstützerInnen zogen unter strahlender Sonne lautstark durch die Kleinstadt. Die druckfrischen Karawane-Tour Zeitungen wurden an die die einheimische Bevölkerung verteilt. Die Abschlusskundgebung fand auf dem zentralen Platz in der Neuburger Innenstadt statt. Im ersten Redebeitrag wurde die Situation der irakischen Flüchtlinge und die aktuelle Abschiebedrohung thematisiert. Bayern unter Innenminister Beckstein hat konkrete Vorbereitungen für Abschiebungen irakischer Flüchtlinge in das Kriegsgebiet getroffen. In dem Beitrag eines nigerianischen Flüchtlings ging es um die Ausbeutung des Nigerdeltas durch ausländische Ölkonzerne und die korrupte nigerianische Eliten und den Widerstand der lokalen Bevölkerung. Schließlich drückte der Neuburger Pfarrer noch die Solidarität des Neuburger „Runden Tisches“ mit den Flüchtlingen im Lager aus und forderte ein Ende der rassistischen Ausgrenzung und vor allem die Abschaffung des Residenzpflichtgesetzes.

Sonntag, 20. Mai 2007

Der zweite Tag des Karawane-Tour-Auftakts in Neuburg stand vor allem im Zeichen des Austausches und gegenseitigen Kennenlernens zwischen AktivistInnen des bundesweiten Karawane-Netzwerkes und BewohnerInnen des Neuburger Flüchtlingslagers.

Nachdem der Sonntag mit Unterschriften sammeln vor Neuburger Kirchen gegen die drohenden Abschiebungen in den Irak begonnen worden war und eine Delegation der Karawane eine Runde durchs Lager gedreht hatte, fanden sich im Laufe des späten Nachmittags einige der LagerbewohnerInnen beim Aktions-Camp auf der Brandlwiese ein.
In dem gemeinsamen Plenum trugen die Neuburger Flüchtlinge, darunter Leute aus Äthiopien, Irak, Nigeria, Sudan, Tansania, Afghanistan und Kosovo ihre Erfahrungen vor. Alltägliche Geschichten aus deutschen Amtsstuben und Lagern, Geschichten von alltäglichem Behördenterror, Abschiebedrohungen und Unzufriedenheit mit schlechten Lebensperspektiven vor. So berichteten die Iraker von der sich zuspitzenden Ausweglosigkeit, in die sie von den deutschen Behörden gedrängt werden: Zum Einen werden irakische Dokumente, wie Pässe oder Geburtsurkunden, von den deutschen Behörden nicht anerkannt, wenn es um etwas im Sinne der Flüchtlinge geht, zum Beispiel die Möglichkeit, zu Heiraten. Gleichzeitig bereitet der deutsche Staat, und hierbei besonders die Bundesländer Bayern und Niedersachsen, auf Hochtouren Abschiebungen in den Irak vor, ein Land, das tagtäglich durch Krieg, Terror und Besatzung weiter zerstört wird. Und genau dafür sind besagte Dokumente, vor allem die alten irakischen S-Pässe, wiederum gut genug. Im Moment scheint es nur eine Frage der Zeit, bis mit diesen Abschiebungen tatsächlich im großen Stil begonnen wird, was anscheinend vor allem von momentan noch andauernden Verhandlungen und Absprachen mit den örtlichen Behörden im Nordirak abhängt. Großen Unmut erregte bei einigen der Anwesenden das Dilemma, dass ihnen einerseits in Deutschland jede Chance auf Flüchtlingsschutz und Bleiberecht verweigert wird, dass sie aber gleichzeitig von anderen EU-Staaten, wie Schweden, wo irakische Flüchtlinge ansonsten ungleich bessere Chancen haben, nach Deutschland zurückgeschickt werden, sobald gemäß der „Dublin“- Vereinbarung die Fingerabdrücke gecheckt werden- ein Problem, mit dem einige der Neuburger IrakerInnen schon schmerzliche Erfahrungen gemacht haben.
Ein weiterer Punkt war der Kreislauf von materieller Desintegration und Kriminalisierung: Durch die gerade in Neuburg gängige Sanktionspraxis von Arbeitsverboten und komplettem Entzug sogar der monatlichen 40 Euro „Taschengeld“ sämtlicher finanzieller Ressourcen beraubt, blieb manchen nichts anderes übrig, als beispielsweise unerlaubt zu Arbeiten. Oftmals führt dies jedoch dazu, dass Leute in Folge von Polizeikontrollen mit Strafen überzogen werden, die sie wiederum mangels Geld nicht zahlen können und so weiter…

Zu erwähnen sind auch die Erfahrungen einer Gruppe von Flüchtlingen, mit denen bereits beim Besuch des Lagers gesprochen wurde, die von extrem ausbeuterischen Arbeitsbedingungen berichteten, denen sie bei dem Neuburger Kartoffelverarbeitungsbetrieb „Agropa“ ausgesetzt sind: Insbesondere migrantische ArbeiterInnen werden dort, trotz anders lautender Arbeitsverträge, unter Androhung von Kündigung gezwungen, an vielen Tagen weit über 12 Stunden zu arbeiten.

Und es wurde auch über sonstige spezielle persönliche Katastrophen gesprochen: Da war zum Beispiel die Frau aus Nigeria, die unter Depressionen und einer schweren, behandlungsbedürftigen Augenerkrankung leidet, der aber dennoch, trotz ärztlichem Anraten, Abschiebeschutz und humanitärer Aufenthaltstitel verweigert wird. Oder der Mann aus dem Kosovo, der eigentlich mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, mit der er auch ein gemeinsames Kind hat, der aber seit Jahren vergeblich darauf wartet, dorthin legal ausreisen zu können. Und nicht zuletzt eine mit der Karawane angereiste Iranerin aus dem Lager in Blankenburg, die feststellen musste, dass ihr in Deutschland die Asylanerkennung verweigert wird, obwohl sie im Iran gerade durch die Zusammenarbeit mit einem deutschen Fernsehteam zur Zielscheibe staatlicher Verfolgung geworden war.

Doch auch unterschiedliche Möglichkeiten und Strategien, sich gegen diesen alltäglichen Wahnsinn zu schützen und zu wehren, standen zur Debatte. Ein Punkt dabei war die Frage des klugen Umgangs mit Vorladungen zu sog. „Botschaftsterminen“ zum Zwecke der Ausstellung sogenannter Heimreisepapiere. Dabei stellt sich das Dilemma, dass unentschuldigtes Fernbleiben zum Einen strafrechtlich verfolgt wird, und dass zum anderen die Vorgehensweise, hinzugehen, aber die Kooperation und das Gespräch mit den Botschaftsangehörigen zu vermeiden, sich in der Praxis oftmals als äußerst schwierig erweist.
Aber es wurden auch Beispiele vorgebracht, die Mut machen. Beispiele von erfolgreichen Kämpfen gegen Abschiebungen, wie die Sitz- und Hungerstreiks iranischer FlüchtlingsaktivistInnen, mittels derer es die SPI (Socialist Party of Iran) gelungen ist, die meisten ihrer AktivistInnen in den Status der Asylanerkennung zu bringen. Oder die Geschichte von Debru E., inzwischen schon eine lokale Berühmtheit als Neuburger Flüchtlingsaktivist: Vor wenigen Monaten stand er kurz vor der Abschiebung, doch durch die Solidarität von Flüchtlingsrat und Karawane hat er es geschafft, nicht nur nicht abgeschoben zu werden, sondern endlich auch seine Asylanerkennung und Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

In diesem Sinne wurde auch das Treffen mit dem Ausblick beschlossen, weiterzukämpfen. Beispielsweise soll es demnächst ein Treffen für die Fortsetzung und Ausweitung der Kampagne gegen Abschiebungen in den Irak geben, zu dem IrakerInnen aus verschiedenen bayerischen Städten eingeladen werden sollen. Immerhin wurde mit den vorangegangenen Protestaktionen bereits ein vielversprechender Anfang gemacht, den Skandal der geplanten Irak-Abschiebungen in der Öffentlichkeit auf die Tagesordnung zu setzen.

Nach dem doch recht langen Plenum klang der Abend noch gemütlich und entspannt aus mit gemeinsamem Grillen und Musik. Nicht zuletzt gebührt hier ein besonderes Lob den Stars des Abends: Dem Kinder-Trio aus dem Lager. Ihr habt den Abend echt gerockt, zuerst mit A-capella-Gesang, dann habt ihr als Wahnsinns-DJs und ShowmasterInnen den zeitweilig etwas trägen Haufen erst zum Singen und dann zum Tanzen gebracht. Schön war’s!