Bericht von Gerit Boekbinder, aktiv in der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen/ München
Knapp 80 Menschen waren bei der Refugee Rights Conference des „Deutschland Lagerland“-Netzwerks, die vom 25. bis 27. Juli auf der Burg in Nürnberg stattgefunden hat. Es ging um Austausch über die Zumutungen des Lagersystems und der deutschen Flüchtlingspolitik, aber auch über Möglichkeiten des Kampfes für das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Die meisten TeilnehmerInnen kamen aus Flüchtlingslagern, die über ganz Bayern verstreut liegen, auch aus Baden Würtemberg und Thüringen waren AktivistInnen angereist. Vertreten waren Hauzenberg, Bayreuth, Katzhütte, München, Gehlberg, Nürnberg, Nördlingen, Apolda, Breitenberg, Straubing, Biberach, Schwetzingen, Schongau, Neuburg und Regensburg. Beteiligte Gruppen und Organisationen waren die „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“, der Bayerische Flüchtlingsrat, die „Jugendlichen ohne Grenzen (JOG)“, die Bürgerinitiative Asyl Regensburg, das Medya Volkshaus Nürnberg und das Nürnberger Evangelische Friedensforum (NEFF).
Staatliche Behinderung der Konferenzteilnahme von Flüchtlingen
Manche Behörden unterbanden die Konferenzteilnahme von Flüchtlingen mit dem Druckmittel des rassistischen Residenzpflicht-Landkreisbeschränkungs-Gesetzes. So konnte eine Delegation aus Kempten nicht kommen, weil ihr die Reiseerlaubnis verweigert wurde und den Beteiligten eine Bahnanreise ohne Genehmigung zu riskant erschien. Unverschämte Begründung der Sachbearbeiterin Schwindinger von der Ausländerbehörde Kempten: „Sie dürfen nicht mit diesen Leuten (gemeint waren Flüchtlingsrat, Karawane und JOG) sprechen“. Auch die Teilnahme von Flüchtlingen aus Würzburg scheiterte an der ortsüblichen Ausländerbehördenpraxis, generell keine Reisegenehmigungen zu erteilen, und dem Risiko rassistischer Kontrollen am Würzburger Bahnhof. Einem Mann, der als angeblicher „Sicherheitsgefährder“ ohne jegliche strafrechtliche Verurteilung seit Jahren seiner Grundrechte beraubt wird und zum Leben in der Isolation des Lagers Hauzenberg gezwungen wird, verweigerte der Sachbearbeiter Popp vom Regierungspräsidium Mittelfranken/Zentrale Rückführungsstelle Nord ebenfalls die Fahrt nach Nürnberg. Ein Konferenzteilnehmer ist in Folge einer Polizeikontrolle bei seiner Abreise von einer Strafe wegen unerlaubtem Verlassen seines Landkreises bedroht.
Fragmente aus den Workshops
Viele der TeilnehmerInnen konnten positive und lehrreiche Eindrücke aus den 5 Workshops, die das inhaltliche Herzstück der Konferenz bildeten, mitnehmen. So gab ein äthiopischer Aktivist aus Nördlingen einen bewegenden Bericht darüber, wie er selbst mehrmals seine Abschiebung verhindern konnte – mit dem Resultat, dass er immer noch in Deutschland lebt und kämpft. Eines der Beispiele, die zeigen, dass sich Widerstand lohnt, die Mut machen, sich nicht klein kriegen zu lassen. Anhand des Beispiels der Botschaft von Nigeria wurde die Rolle der Botschaften der (angeblichen) Herkunftsländer bei der Ausstellung von „Heimreisepapieren“ für Abschiebungen dargestellt. Der Boykott von Botschafts-Sammelanhörungen, „Community Networking“ sowie Pressearbeit, die auf eine kritische Öffentlichkeit in den Herkunftsländern abzielt, wurden als Gegenstrategien diskutiert. Betont wurde auch die Notwendigkeit, die Bedrohung durch Abschiebung nicht alleine mit sich selbst auszumachen, sondern ein Umfeld von UnterstützerInnen, das im Notfall intervenieren kann, über die eigene Lage zu informieren. In einem Workshop zu frauenspezifischen Problemen des Lebens im Lager wurde die alltägliche Bedrohung von Frauen durch sexualisierte Belästigung und Gewalt thematisiert; diese geht sowohl von Hausmeistern und Wachdienstmitarbeitern aus, die sich durch ihre Schlüsselgewalt Zugang zu allen Zimmern verschaffen können, als auch von so manchen männlichen Nachbarn. AktivistInnen aus Nördlingen, München, Katzhütte erzählten von den Kämpfen gegen miese Wohnsituation, Lagerisolation und Zwangsversorgung mit Essenspaketen und Sachleistungen. Zum einen wurde deutlich, dass so gut wie alle der anwesenden Flüchtlinge in der einen oder anderen Form mit selbst nach herrschender Gesetzeslage rechtswidriger Behandlung durch Behörden und Lagerverwaltung konfrontiert sind. Herauskristallisiert hat sich auch: Die spezifischen Alltagsprobleme und Gemeinheiten, mit denen die BewohnerInnen von Flüchtlingslagern konfrontiert sind, unterscheiden sich zwar von Ort zu Ort, die zugrunde liegende Struktur ist jedoch in ein und demselben System von Lagerzwang und Entrechtung angelegt, das nicht nur auf bayerischer sondern auch auf bundesweiter Ebene in Gesetze gegossen ist. Diese grundlegende Problematik verschwindet oft aus dem Blickfeld, wenn kurzzeitig die skandalösen Lebensbedingungen in einem bestimmten Lager die örtliche Lokalpresse auf den Plan rufen. Vor diesem Hintergrund liegt eine wesentliche Schwierigkeit bei den Protesten von LagerbewohnerInnen in deren lokaler Begrenztheit.
Was bleibt und wie geht’s weiter?
Deutlich wurde die Notwendigkeit, den Kampf für die Abschaffung der Lagerunterbringung noch viel mehr als bisher auf eine bundesweite Ebene zu heben, um die Begrenztheit lokaler Flüchtlingsproteste zu überwinden und die bundesgesetzliche Verantwortung für die Isolation und Entrechtung von Flüchtlingen ins Visier des Protests zu nehmen. Praktische Schritte dafür sollen beim Folgetreffen des Lagerland-Netzwerks im Oktober 2008 in Angriff genommen werden. Im Workshops zum Kampf gegen Abschiebungen wurde der Vorschlag aufgebracht, im Herbst 2008 eine Demo zur nigerianischen Botschaft in Berlin zu machen, um deren aktive Mithilfe bei Abschiebungen nach Nigeria zu thematisieren; dieser Plan soll in den kommenden Wochen in nigerianischen Community-Strukturen verbreitet werden. Darüber hinaus wollen einige der Konferenz-TeilnehmerInnen gemeinsam zum antirassistischen Summer-Camp vom 16. Bis zum 24. August in Hamburg fahren (http://camp08.antira.info).
Was ebenso wichtig war wie Diskussionen und inhaltliche Inputs: Die Konferenz hat einen Rahmen dafür geboten, dass in angenehmer Atmosphäre, an einem schönen Platz, LagerbewohnerInnen und andere AktivistInnen aus dem süddeutschen Raum, Menschen mit vielerlei Erfahrungen und Lebenshintergründen, sich kennenlernen konnten und zusammen eine gute Zeit hatten. Damit sind wir einen Schritt weitergekommen, um ein tragfähiges überregionales Netzwerk zu schaffen, mit dem wir den Zumutungen des Lagerregimes und des institutionaliesierten Rassismus eine solidarische, im besten Sinne des Wortes internationalistische Praxis entgegensetzen können.