Am Samstag, den 21. April 2007, fand in Fürstenried West in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge eine sogenannte Botschaftsvorführung von irakischen Flüchtlingen statt. Ziel war die Identitätsfeststellung von Flüchtlingen und die Ausstellung von Heimreisepapieren. Hintergrund ist, dass der Abschiebestopp in den Irak aufgehoben wurde und Bayern und Niedersachsen angefangen haben, in den Nordirak abzuschieben, denn angeblich wäre es dort sicher. Dies wenige Tage nach der Irak Konferenz des UNHCR, auf der nocheinmal festgestellt wurde, dass zur Zeit immer noch sehr viele Menschen aus dem Irak fliehen.
Viele irakische Flüchtlinge aus Bayern wurden von ihrer Ausländerbehörde aufgefordert, sich zu diesem Termin zu begeben, ohne ihnen genauer mitzuteilen, was der Sinn dieses Termin sei. Ihnen wurde natürlich nicht gesagt, dass es nur um die Ausstellung von Papieren zum Zwecke der Abschiebung geht, und teilweise wurde wohl auch suggeriert, bei dem Termin würde IrakerInnen vor allem geholfen werden, Pässe zu erhalten. Hier ist wiederum der Hintergrund, dass seit dem 1. April 2007 alle irakischen Pässe der Serie S für ungültig erklärt wurden, es aber neue Pässe der Serie G auf absehbare Zeit nicht geben wird. Dies stellt irakische Flüchtlinge vor ein Problem, denn ohne gültigen Pass ist es beispielsweise unmöglich, zu heiraten. Der niedersächsische Flüchtlingsrat hat hier und hier mehr dazu geschrieben. Nur für die „freiwillige Ausreise“ und die Abschiebung werden die Pässe noch anerkannt.
Aus diesem Grund haben wir von der Karawane München in Zusammenarbeit mit Jugendliche ohne Grenzen München am Samstag vor der Unterkunft demonstriert, um vorgeladene Flüchtlinge zu informieren und unseren Protest gegen die Botschaftsanhörung zum Zweck der Abschiebung zum Ausdruck zu bringen. Nach unseren Schätzungen kamen rund 70 IrakerInnen zu dem Termin, unter ihnen auch Iraker, die etwa Vater eines deutschen Kindes sind oder auch Familien, die seit über 13 Jahren in Deutschland leben, gut integriert sind und damit ein Bleiberecht haben. Es roch nach Willkür, und ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Abschiebung mehrerer 10.000 Menschen eine logistische Herausforderung ist, für die der Staat ersteinmal möglichst viele Informationen sammeln muss.
An der Anhörung nahmen von irakischer Seite ein Mitarbeiter des irakischen Innenministeriums, ein Konsul aus Berlin sowie Dolmetscher für Arabisch, Turkmenisch und Soranî (Kurdisch) teil, von deutscher Seite war ein Vertreter der Regierung von Oberbayern zugegen. Die gesamte Anhörung fand mit massiver Polizeipräsenz statt, Polizisten von der Sondereinheit USK (in schwarzen Uniformen) schirmten das Gelände ab und unterzogen alle Flüchtlinge einer peniblen Durchsuchung. In der Anhörung wurden die Flüchtlinge einzeln zu ihrem Herkunftsort im Irak befragt (etwa: In welcher Straße haben sie gewohnt? Kennen Sie einen Laden/Kino/etc dort? Kennen Sie den Besitzer?) und dann von den irakischen Botschaftsangehörigen bearbeitet, doch „freiwillig“ in den Irak zurückzukehren. Ihnen wurde die Ausstellung eines Passes der Serie S in Aussicht gestellt: ein nutzloses, aber gefährliches Papier.
Draussen versuchte die Polizei alles, um unsere Demonstration zu behindern. Neben dem Einsatzleiter der Polizei waren zwei Beamte des Staatsschutzes vor Ort, weitere USK-Einheiten, die ständig vom Dach ihres Einsatzwagens herab filmten und zwei weitere USK-Beamte in Zivil, die uns auf Schritt und Tritt verfolgten, sich teilweise in Gespräche einmischten und uns immer wieder schikanierten. Zeitweise standen mehr Polizisten vor unserem Transparent als DemonstrantInnen, und wir wurden gezwungen, Photos von unserer eigenen Demonstration, die dies dokumentierten, wegen der Geltendmachung des Rechts am eigenen Bilds der Beamten zu löschen. Die Polizei versuchte tatsächlich, alle Register zu ziehen. Der Staatsschutzbeamte versuchte allen Ernstes, uns themenbezogene Gespräche mit Flüchtlingen zu verbieten, was er erst nach unserem Hinweis, das wäre ja wohl Zensur, stände dem Recht auf freie Meinungsäußerung entgegen und wäre ja wohl eine Verwechslung mit einer Auflage zu nicht-themenbezogener Musik auf Kundgebungen, zurücknahm. Andere Beamte wollten in unserer Demonstration Personenkontrollen durchführen und mussten erst belehrt werden, dass das Demonstrationsrecht als Grundrecht über dem Polizeirecht steht. Zwei Personen, die sich abseits in Ruhe mit einer irakischen Familie unterhielten, waren plötzlich von sechs Polizisten mit Kamera umringt, die ihnen erklärten, sie würden hier abseits der Versammlung eine weitere Versammlung durchführen, was nicht erlaubt wäre. Es gipfelte in der Aufforderung des Staatsschutzbeamten „Sie sind Versammlungsteilnehmer und Sie gehen jetzt sofort zu ihrer Versammlung zurück“. Aber auch hier musste er einsehen, dass Versammlungsfreiheit als Grundrecht natürlich ein zweiseitiges Recht ist, also das Recht, an einer Versammlung teilzunehmen wie auch das Recht, an einer Versammlung nicht teilzunehmen. Eine Anwältin, die ihren Mandaten zur Anhörung begleiten wollte, wurde zeitweise ein Hausverbot erteilt und ihr eine Anzeige angedroht. Dies sind natürlich nur die „Schmankerl“, aber Tatsache bleibt, dass die Polizei über 6h hinweg versuchte, unser Demonstrationsrecht zu untergraben, was ihr aber dank unserer Überzeugung, das Richtige und Wichtige zu tun und unserer überlegenen Rechtskenntnis nicht gelang. Wir haben es geschafft, viele IrakerInnen über den tatsächlichen Hintergrund des Termins aufzuklären und ihnen juristischen Beistand zu vermitteln.
Es war viel Presse vor Ort, Radio, Fernsehen und Zeitung. Wir gehen davon aus, dass unsere Strategie, diese Botschaftsanhörungen an die Öffentlichkeit zu ziehen, die richtige war. Es gab am Montag eine phänomenale Presseberichterstattung, und auch der Versuch der Polizei, unseren Protest zu verunmöglichen zeigt, dass wir an der richtigen Stelle angesetzt haben. Die Abschiebemaschinerie ist auf Stille angewiesen. Wehren sich Flüchtlinge kollektiv, werden die Verwicklungen von Fluglinien in Abschiebungen dokumentiert, wird die Kollaboration von Botschaften mit deutschen Ausländerbehörden öffentlich gemacht, so kommt sie unter einen Legitimierungszwang, dem sie nicht nachkommen kann. Wir lehnen Abschiebungen ab, und wir arbeiten auch weiter daran, den Widerstand gegen diese unmenschliche und rassistische Praxis weiter zu verbreitern. Gegen die Praxis der Polizei, „russische Verhältnisse“ zu schaffen, werden wir nach Möglichkeiten juristisch vorgehen, Unterstützung, auch finanzieller Natur, würde uns sehr freuen.
Presseschau