Die Landtagsentscheidung zum Lagerzwang:
Was bedeutet sie für die Flüchtlinge in den bayerischen Lagern?
Was haben wir mit unserem Kampf erreicht, wo sind wir noch weit von unserem Ziel?
Über ein Jahr lang haben Flüchtlinge in bayerischen Lagern, zusammen mit Unterstützer/innen-Gruppen, für Veränderung, für ein besseres, menschenwürdiges Leben gekämpft. Zentrale Ziele waren Bewegungsfreiheit und das Ende des Lager-Zwangs und der Essenspaketversorgung. Mit ihren Protesten in den Lagern, z.B. dem wochenlangen Boykott der Essenspakete, im Parlament und auf der Straße haben die Flüchtlinge die politischen Parteien im bayerischen Landtag dazu gezwungen, sich mit der Situation der Flüchtlinge in Bayern und ihren Forderungen zu beschäftigen. Am 6. Mai hat nun der Sozialausschuss des bayerischen Landtages eine Entscheidung darüber präsentiert, wie Flüchtlinge in Bayern in Zukunft wohnen und leben sollen. Herausgekommen ist folgendes:
Wer soll generell aus dem Lager ausziehen dürfen?
-Personen, die schon mindestens vier Jahre nach dem Ende des ersten Asylverfahrens beim Bundesamt im Lager wohnen.
– Familien mit Kindern und Alleinerziehende mit Kindern nach dem Ende des ersten Asylverfahrens beim Bundesamt
– Schwangere nach einer individuellen Prüfung
Ausziehen aus dem Lager ist für all diese Leute nur möglich, wenn jemand nicht abgeschoben werden kann.
Wer kann von der Möglichkeit, aus dem Lager auszuziehen, ausgeschlossen werden?
– Leute, die wegen einer Straftat zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wurden
– Flüchtlinge, die über ihre „Identität getäuscht haben“ oder die nicht ausreichend bei der Klärung ihrer Identität kooperiert haben
Diese Leute können trotzdem versuchen, nach einer individuellen Prüfung durch die Regierung aus dem Lager herauszukommen.
In folgenden Situationen ist es so wie bisher möglich, ohne Wartezeit aus dem Lager auszuziehen:
-Individuelle Prüfung für schwere Erkrankung, Behinderung oder Altersgebrechlichkeit
-posttraumatische Belastungsstörung
-ausreichendes eigenes Einkommen.
– Familien, bei denen ein Familienmitglied einen Aufenthaltsstatus hat, mit dem er/sie aus dem Lager ausziehen darf.
– Sonstige schwerwiegende Gründe.
Die Anträge, um aus dem Lager auszuziehen, werden wie bisher bei den Regierungen der Bezirke gestellt, die auch die Lager betreiben.
Flüchtlinge, die nach der neuen Regelung aus dem Lager ausziehen dürfen, sollten sich jetzt Tipps bei den Beratungsstellen holen und Anträge zum Ausziehen stellen, sobald die neue Regelung offiziell gilt!
Neue Mindeststandards für Flüchtlingslager:
-abgetrennte Wohnbereiche für Familien
-mindestens 7qm² Wohnfläche für jeden Flüchtling-Renovierung der alten Lager
-Verbesserung der Toiletten, Bäder und Küchen
Erweiterung der Bewegungsfreiheit
Jede/r Flüchtling im Asylverfahren darf sich im gesamten Regierungsbezirk (z.B.Oberbayern, Niederbayern, Schwaben etc.) bewegen. Außerdem in Landkreisen benachbarter Regierungsbezirke, wenn das Lager an der Grenze zum anderen Regierungsbezirk liegt.
Für die meisten Flüchtlinge ist dies nur eine kleine Verbesserung! Zum Beispiel dürfen Leute aus Lagern in Niederbayern oder Schwaben weiterhin nicht ohne Genehmigung nach München fahren!
Was haben wir erreicht?
Für viele Flüchtlinge in den Lagern sieht die neue Regelung enttäuschend aus. Das Lagersystem und damit auch die Zwangsversorgung mit Essenspaketen bleibt im Grunde erhalten; nur für besondere Gruppen von Leuten gibt es Verbesserungen. Ob die neuen Mindeststandards für die Wohnbedingungen in den Lagern wirklich umgesetzt werden, ist noch nicht klar und muss überprüft werden.
Das Ergebnis des Kampfes spiegelt die aktuellen Kräfteverhältnisse in Bayern wieder. Es ist nicht gelungen, den Kampf auf größere Teile der Gesellschaft zu verbreitern und mehr Stärke zu gewinnen. Und auch die unterstützenden Gruppen waren zwar sehr aktiv, aber nicht zahlreich genug und in vielen Regionen von Bayern gab es überhaupt keinen Protest.
Außerdem haben wir es in Bayern mit mächtigen Gegnern zu tun: Hier ist seit Jahrzehnten die CSU an der Macht, eine Partei, die sich bis heute die Flüchtlingsfeindlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat.
Trotzdem haben wir etwas erreicht: An dem Lagersystem, das schon seit ca. 25 Jahren in der Form, die wir kennen, besteht, haben wir zumindest ein bisschen gerüttelt. Politiker, die am liebsten alle Flüchtlinge ein Leben lang ins Lager einsperren würden, mussten auf unseren Protest reagieren. Genau daran müssen wir anknüpfen!
Wir haben viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt und die Verantwortlichen gezwungen, sich mit der Situation der Flüchtlinge in Bayern auseinanderzusetzen. Und an diesem Punkt sollten wir weitermachen!
Was tun und wie fangen wir an?
„We have achieved awareness, but what we need is change! – Wir haben Aufmerksamkeit erreicht, aber was wir brauchen, ist Veränderung.“ Darum werden wir in Zukunft unseren Kampf noch entschiedener und kraftvoller kämpfen müssen. Wir müssen die vorhandenen Netzwerke stärken und neue Kontakte in alle Lager knüpfen, damit wir unseren Protest gegen die menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen noch größer und überzeugender in alle Winkel Bayerns tragen. Wenn das nächste Mal nicht nur in 10 Lagern, sondern an viel mehr Orten in Bayern die Flüchtlinge zusammen mit ihren Freund/innen aufbegehren, dann sind wir noch viel stärker als wir es diesmal waren. Und wir sollten sehen: Auch außerhalb von Bayern kämpfen Menschen gegen die diskriminierenden, schlechten Lebensbedingungen und für Bleiberecht. Versuchen wir, gemeinsam mehr zu erreichen. Dann wird auch die Politik wieder auf uns reagieren müssen!
Wir laden euch alle ein: Kämpft mit im Netzwerk „Deutschland Lagerland“, der bayernweiten Koordination von Flüchtlingen und ihren Unterstützer/innen!
info@deutschland-lagerland.de
http://www.deutschland-lagerland.de
tel.: 089-762234 (Bayerischer Flüchtlingsrat)
Der Kampf für ein besseres Leben endet nicht mit der Entscheidung im bayerischen Landtag!
Unser Kampf geht weiter!