Am 24. Mai 2022 fuhr eine Gruppe kurdischer Geflüchteter aus der Türkei, darunter auch Jugendliche und Kinder, versteckt in einem Güterzug aus Italien bis nach München. Als sie in München Trudering über die Dachplane aussteigen wollten, wurden drei Geschwister durch einen Stromschlag schwer verletzt. Am 08.06.2022 erlag die 15-jährige Melike Akbaş ihren schweren Verletzungen. Den Güterzug hatte die Gruppe genommen, um die innereuropäischen Grenzkontrollen zu umgehen, die der Europäische Gerichtshof nur kurze Zeit zuvor für europarechtswidrig erklärt hatte.
Melike hätte nicht sterben müssen, denn der Europäische Gerichtshof hatte schon am 26. April 2022 zu den jahrelangen Grenzkontrollen zwischen den Schengener Mitgliedsstaaten Österreich und Slowenien entschieden, dass eine Verlängerung der Grenzkontrollen über einen Zeitraum von insgesamt sechs aufeinanderfolgenden Monaten hinaus grundsätzlich nicht mit Europarecht vereinbar ist (vgl. EuGH Urt. v. 26.04.2022, Az.: C-368/20; C-369/20, Rn. 79 ff.).
Trotzdem hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser nur einen Tag später, am 27. April 2022, die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze ein weiteres Mal um sechs Monate verlängert. Seit nun sieben Jahren werden die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich damit ununterbrochen alle sechs Monate „wiedereingeführt“.
Die Europäische Union kehrt nur zu gern das Selbstverständnis eines Raumes der „Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“ nach außen. Dass sich viele ihrer Mitgliedsstaaten nun über Jahre an die Maßnahmen nationaler Grenzkontrollen klammern, zeigt: eine Vision von Freiheit, beginnend mit der Frage der Bewegungsfreiheit für alle Menschen, fehlt. Stattdessen sind die nationalen Grenzkontrollen Teil einer immer repressiveren Bekämpfung der Migration von Geflüchteten nach und innerhalb Europas. Für Menschen auf der Flucht bedeuten sie das genaue Gegenteil von „Sicherheit“.
Die Kontrollwut der Schengener Mitgliedstaaten ist gefährlich – und tödlich
Was sich seit langem an der europäischen Außengrenze zeigt, ist inzwischen auch traurige Realität innerhalb Europas geworden: die Bekämpfung von Fluchtmigration, in Form von immer massiveren Kontrollmaßnahmen, von Zäunen, Wachtürmen, Helikoptern und Polizeipatrouillen, verhindert nicht, dass sich Menschen, die auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort sind, weiterhin bewegen. Aber die Kontrollenmachen Fluchtrouten teurer und gefährlicher. Die Menschen werden dazu gezwungen, sich in LKWs oder Güterzügen zu verstecken und müssen dabei ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen. Seit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen 2015 sind nach einer Medienauswertung durch die Universität Grenoble bis Mai 2022 allein an den „alpinen“ Grenzen 87 Menschen ums Leben gekommen. Hinzu kommen Todesfälle an Zugstrecken, weil sich Geflüchtete auf oder zwischen Güterwaggons verbergen. Kälte, Fahrtgeschwindigkeit, tonnenschweren Lasten und die elektrischen Bahnstromleitungen machen die Fahrten lebensgefährlich. Doch sie sind ein unumgängliches Mittel für diejenigen, die sich nicht unbekümmert in einen Personenzug sitzen können, um die Alpen zu überqueren. Für die eine Ausweiskontrolle an der Grenze gravierende Folgen mit sich bringt, weit mehr als eine lästige Angelegenheit oder ein zähes Warten in kilometerlangen Staus.
Wir fordern Innenministerin Faeser auf, im Einklang mit europäischem Recht von einer erneuten Verlängerung der Grenzkontrollen abzusehen.
Die Kontrollen sind nicht nur europarechtswidrig. Sie sind tödlich!
Hier findet ihr eine für Plakate und Sticker.
Verteilt Sie in eurer Stadt, an Bahnhöfen und vor Bundespolizeidirektionen, um auf die Gefahr durch rechtswidrige Grenzkontrollen aufmerksam zu machen!