Das war so ein seltener, richtig guter Tag, vorgestern, als klar war, dass Debru bleiben kann, dass er Abschiebeschutz aufgrund drohender Folter bekommt. Wir haben uns getroffen und gefeiert. Immer mehr Leute von der Karawane und dem Flüchtlingsrat kamen zusammen, um ihn hochleben zu lassen, es war eine richtige Party mit ausgelassener Stimmung und viel Bierschaum. Wir lagen uns in den Armen, genossen den Augenblick, hoben die Gläser. Gekämpft haben wir darum, dass er nicht dem äthiopischen Staat ausgeliefert wird, der nur allzu gerne seine oppositionellen Exilpolitiker frei Haus geliefert bekommen möchte. Und es ist gelungen, Debru hat wieder eine Zukunftsperspektive!
Debrus großer Tag, aber auch ein Moment, der uns allen wieder Kraft gibt, um unsere Sisyphus-Arbeit fortzusetzen. Wir feierten Debru und uns selbst.
Ja, manchmal fühle ich mich wirklich wie Sisyphus, nur kaum als Held, eher als jemand, der reichlich kraftlos zusammen mit vielen anderen den Felsblock immer und immer wieder Stückchen für Stückchen den Hang hinausrollt. Und dann, wenn ein kleiner Etappensieg errungen scheint, ein Vorsprung im Berg erreicht, dann stellt sich raus, dass der Hang rutscht, der Boden glitschig wird, oder sonst was passiert, das dafür sorgt, dass der Felsblock zurückrollt. Zum Verrücktwerden, eine ganz eigene Art von Hölle.
Der ganze Kampf ums Bleiberecht für die langjährig Geduldeten ist so Frust. Da ist es uns gelungen, den Termin „100 Tage Bleiberecht“ ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, die Politiker zu Stellungnahmen zu bringen, ein breites Presseecho zu erreichen – und dann? Dann kommt der Kabinettsentschluss und ist doch nichts als eine mittlere Katastrophe. Vielleicht werden zehn oder zwanzig Prozent der Geduldeten ein Bleiberecht erhalten, falls es ihnen überhaupt gelingt, Arbeit zu finden, aber das um den Preis, dass der Druck auf alle anderen wachsen wird und sich die alltägliche Misere zwischen Lagerleben und Essenspakten nichts ändern wird. Die allermeisten Geduldeten fallen sowieso nicht unter die Stichtagsregel, und dazu kommen noch die vielen Ausnahmeregelungen…
Aber auch das Klima für Migranten mir Aufenthaltsrecht wird rauer. Jetzt kommt unter anderem die wahnwitzige Vorschrift, dass ausländische Ehegatten Grundkenntnisse des Deutschen nachweisen müssen, bevor sie einreisen dürfen. Wie das Zwangsehen verhindern soll, ist völlig unklar – es ist nichts als eine weitere Schikane. Und das auch noch mit der Aufteilung in bessere und schlechtere Migranten, denn Ehegatten aus Staaten wie den USA, Kanada oder Japan sollen auch zuziehen dürfen, wenn sie kein Wort Deutsch verstehen. Das Absurdistan der deutschen Ausländerpolitik.
Ja, das Sisyphus-Gefühl, das mich immer wieder beschleicht, da hilft ein Tag, an dem einer von uns Abschiebeschutz erhält. Ein kleiner Sieg – und doch wenigstens für einen Moment wieder das Gefühl, den Felsblock ein winziges Stück voran gebracht zu haben. Dass Debru unter uns bleibt, ist ein guter Grund für eine Party. Morgen, wenn der Rausch ausgeschlafen ist, geht es dann wieder gemeinsam an den Felsblock. Nur nicht aufgeben, denn dann würde sich gar nichts mehr bewegen und ich bliebe nur allein in meinen Privatfrust mit der politischen Realität der Migrationspolitik zurück.
Vielleicht ist gar nicht schlecht, ein Teil der Sisyphus-Karawane zu sein, schließlich war der Kerl doch bei aller Plackerei letztlich ein Held. Und nach manchen Quellen soll er sogar der uneheliche Vater des Odysseus gewesen sein, dem legendären Seefahrer, der heutzutage wohl nur noch Abenteuer in Aufnahmelagern und Abschiebeflugzeugen erleben würde.
Lu Mumba