Archiv der Kategorie: Demonstration

Die Demonstration irakischer Flüchtlinge

Zwischenkundgebung am Sendlinger Tor

Eindrücke von der Demonstration irakischer Flüchtlinge am 31. März 2007 in München.

Etwa dreihundert Menschen, mehrheitlich IrakerInnen, setzten am Samstag, 31. März, mit einer Demonstration in München ein eindrucksvolles Zeichen gegen die Entrechtung irakischer Flüchtlinge in Bayern. Mit gutem Grund:

Seit der Invasion der Besatzungstruppen 2003 wird anerkannten irakischen Flüchtlingen der Asylstatus durch das Bundesamt aberkannt, neu ankommenden Flüchtlingen wird das Asyl von vorneherein verweigert. Das bayerische Innenministerium stellt alle IrakerInnen unter Terrorismus-Generalverdacht. Die Ausländerbehörden sind angewiesen, irakischen Staatsangehörigen keine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Auch der Weg zur deutschen Staatsangehörigkeit wird in Bayern unmöglich gemacht. Der Verlust des Asylstatus führt zum Widerruf oder der Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Da Abschiebungen in den Irak bislang nicht durchgeführt werden, sind Tausende inzwischen nur noch im Besitz einer Duldung, täglich steigt die Zahl der Geduldeten.

Besonders absurd ist es, dass die „freiwillige Ausreise“ in den Irak von den Behörden und den Gerichten für zumutbar gehalten wird. Und deutsche Behörden sind bereits dabei, nach Möglichkeiten zu suchen, Menschen in den Irak abzuschieben. So gibt es konkrete Pläne, Abschiebungen zunächst über Flughäfen in den angeblich sicheren kurdischen Gebieten im Nordirak abzuwickeln.

Demo startet am Stachus Auftaktkundgebung am Stachus

Die deutliche und kämpferische Botschaft der Demonstration gegenüber solcherlei menschenverachtenden Praktiken: Wir lassen uns das nicht mehr gefallen – wir wollen hierbleiben! Mit guter Stimmung und arabischem und kurdischem Pop aus den Lautsprecherboxen bewegte sich der Zug vom Stachus über das migrantisch geprägte Hauptbahnhofsviertel zum Marienplatz, wo die Demo in Partystimmung mit Kreistanz endete.

In teilweise spontanen, teilweise vorbereiteten, Redebeiträgen und Gedichten brachten Betroffene auf den Punkt, was es heißt, mit Duldung und Angst vor Abschiebung ins Feuer des Krieges zu leben oder was es bedeutet, wegen der falschen Herkunft von Arbeit, Ausbildung und Lebensperspektiven ausgeschlossen zu sein. Eine wütende Absage wurde Politikern wie Beckstein und Stoiber erteilt, die mit rechtspopulistischer Stimmungsmache Flüchtlinge als „Sicherheitsrisiko“ brandmarken. Außerdem machten die Organisatoren der Demo deutlich, dass der Kampf gegen die Entrechtung der IrakerInnen für sie ein Teil des Kampfes um Bleiberecht und Gleichberechtigung für alle MigrantInnen und Flüchtlinge ist.

Die Demonstration hat in verschiedener Hinsicht Akzente gesetzt: Seit langem war es die erste Demo in München, bei der mehrere hundert IrakerInnen für ihre Rechte auf die Straße gehen. Entgegen der Spaltung entlang der Konfliktlinien von Ethnisierung und Religion, die durch den Krieg, das Besatzungsregime und die Nachwirkungen der Baathdiktatur vorangetrieben werden, haben Menschen aus allen Landesteilen des Irak, KurdInnen und AraberInnen, SchiitInnen, SunnitInnen und andere, gezeigt, dass sie gemeinsam für ihre Würde und gegen ihre Entrechtung kämpfen wollen.

In diesem Sinne wird es weitere Aktionen in Bayern geben: So beginnt am Samstag 19. Mai die bundesweite Karawanetour 2007 mit einer überregionalen Demo in Neuburg/Donau gegen die Entrechtung irakischer Flüchtlinge.

Deutschland, das Land der Denker und Dichter?
Nein!
Das Land der Bürokraten, Paragraphen und Richter!“

(aus dem Gedicht eines irakischen AktivistInnen)

Transparent Transparent

Demonstration gegen die Entrechtung der irakischen Flüchtlinge in Bayern

Wir lassen uns das nicht mehr gefallen!
Demonstration gegen die Entrechtung der irakischen Flüchtlinge in Bayern

am Samstag, 31. März 2007
14.30 Uhr Kundgebung Karlsplatz/Stachus
15.00 Uhr Demonstration zum Marienplatz

Aufruf zur Demonstration zum Ausdrucken
deutsch, english, arabisch/عربي, Soranî/سۆرانی

Der Irak ist eines der unsichersten Länder der Welt – Trotzdem sind Abschiebungen in den Irak in Vorbereitung. Anerkannten Flüchtlingen wird das Asyl entzogen – immer mehr Iraker die seit Jahren hier leben, werden in den Angstzustand „Duldung“ zurückversetzt. Der Umgang mit den irakischen Flüchtlingen ist ein besonderes Beispiel für eine aggressive Flüchtlingsfeindlichkeit. Zum ersten Mal wird eine Flüchtlingsgruppe allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit besonderen Verschärfungen unterworfen. Wenn wir dies tatenlos hinnehmen, ist der weiteren Entrechtung aller Flüchtlinge Tür und Tor geöffnet.

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100 Tage und kein Bleiberecht!

100 Tage und kein Bleiberecht — Aufruf auf Deutsch

Anlässlich des bundesweiten Aktionstag „100 Tage und kein Bleiberecht“ finden auch in München Aktionen statt.

23. Februar 2007
13.oo Uhr, Aktion vor der SPD – Zentrale, Oberanger 38
15.oo Uhr, Aktion vor der CSU – Zentrale, U1 Mailingerstraße

24. Februar 2007
15.oo Uhr Stachus: Demo mit Microphone Mafia (Hiphop aus Köln)

Aufruf auf Deutsch, Englisch und Französisch, sowie eine Hörprobe von Microphone Mafia

[audio:http://carava.net/wp-content/uploads/2007/02/microphonemafiatestanera.mp3]


Das Recht, das für die zweihunderttausend Ausländer gilt, die seit Jahren als „Geduldete“; in Deutschland leben, ist ein einziges Desaster, es ist ein Recht das Unglück schafft, ein Recht das Menschen verzweifeln lässt.
(Süddeutsche Zeitung, 16.11.2006, Seite 4)

Seit Jahren versprechen PolitikerInnen, den unmenschlichen Zustand der Kettenduldungen für Flüchtlinge abzuschaffen. Letzter Versuch war das Bleiberecht von 2006, doch 100 Tage später ist klar: es war nur ein einmaliger Gnadenakt. Der Angstzustand „Duldung“ bleibt für den Großteil bestehen. Lageralltag, Abschiebungen, Arbeitsverbote und die Verletzung der Würde von Flüchtligen gibt es weiterhin.

Im März wird der Bundestag zwar beim Bleiberecht nachbessern, aber gleichzeitig das Aufenthaltgesetz weiter verschärfen, was neue Geduldete und noch mehr Illegalisierte zur Folge haben wird. Daher gehen am 24. Februar unter dem Motto „100 Tage und kein Bleiberecht“ in ganz Deutschland Menschen auf die Straße und fordern vom Bundestag: Schafft die Duldung ab! Wir wollen das ganze Bleiberecht!

Ein erster Schritt ist getan Nachdem im November 2006 in Nürnberg 2500 Menschen für das Bleiberecht protestierten, sahen sich die Innenminister gezwungen, auf die jahrelange Kampagne für ein Bleiberecht zu reagieren: Sie haben entschieden, dass einige wenige Geduldete bleiben dürfen (etwa 10-15 % der 192.000 Geduldeten). Die anderen werden ausgeschlossen, weil sie nicht lange genug in Deutschland sind, weil sie nicht an ihrer Abschiebung mitgearbeitet haben oder ein paar mal schwarz gefahren sind. Und nicht zuletzt bleiben mit den Illegalisierten 500.000 bis 1.000.000 Menschen, die ohne jegliche Rechte in Deutschland leben, von einer Bleiberechtsperspektive ausgeschlossen.

Die Bundestagsentscheidung 2007 Die Koalition wird ein neues Aufenthaltsgesetz verabschieden und ein gesetzliches Bleiberecht beschließen. Es gibt zwar Verbesserungen, doch das größte Problem des bisherigen Bleiberechts bleibt bestehen: Nur wer an einem bestimmten Stichtag schon 8 bzw. 6 Jahre hier ist, kommt überhaupt in Frage. Für alle Anderen gibt es keine Perspektive, auch wenn sie dann irgendwann 8 Jahre hier sind. Das Bleiberecht bleibt damit ein einmaliger Gnadenakt, der das Problem nur vertagt. Vor allem ist jedoch zu befürchten, dass das gesetzliche Bleiberecht mit extrem harten Verschärfungen beim Familiennachzug und bei der Verlängerung einer schon erteilten Aufenthalterlaubnis „bezahlt“ werden muss. Das Gesetz wird damit wieder neue Geduldete und Illegalisierte zur Folge haben, statt endlich eine vernünftige Lösung zu suchen.

Noch mehr Abschiebungen? Gleichzeitig mit dem Bleiberecht kündigten die Innenminister an, noch mehr abschieben zu wollen. Auf geduldete Flüchtlinge wird zunehmend Druck ausgeübt, damit sie „freiwillig ausreisen“: durch Einweisung in Abschiebelager, Arbeitsverbote, Entzug von Sozialleistungen, Aufenthaltsbeschränkungen oder die Kriminalisierung wegen „mangelnder Mitwirkung“. In Kollaboration mit diktatorischen Regimes, wie z.B. den Regierungen von Togo und Äthiopien, werden Menschen mit Sammelcharterflügen brutal verschleppt und an ihre Verfolger ausgeliefert.

Nicht mit uns! MigrantInnen, Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen schaffen es immer wieder, Abschiebungen aktiv zu verhindern. Sei es durch individuelle Widerspenstigkeit, öffentlichen Druck oder direkte Aktionen an Flughäfen. All diese jahrelangen Widerstandserfahrungen müssen wir gerade jetzt zusammenbringen, damit die Rechnung der Innenminister und Bürokraten, die durch Abschiebungen die Auseinandersetzung um das Bleiberecht in ihrem Sinne entscheiden wollen, nicht aufgeht!

Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. (Johann Wolfgang von Goethe)

Wir wollen ein Bleiberecht für alle Geduldeten und Illegalisierten erreichen. Als Schritte auf dem Weg dorthin fordern wir von einem neuen Bleiberecht:

  • Statt einem einmaligen „Gnadenerlass“ mit Stichtagsregelung muss es einen dauerhaft verankerten Rechtsanspruch auf Bleiberecht geben, der auch später Eingereisten ein „Hineinwachsen“ in ein Aufenthaltsrecht ermöglicht.
  • Geldstrafen, mangelnde Mitwirkung an der eigenen Abschiebung oder mangelnde Sprachkenntnisse dürfen niemanden vom Bleiberecht ausschließen. Ein Arbeitsnachweis darf keine Bedingung für ein Bleiberecht sein.
  • Für alle Kinder und Jugendlichen und ihre Familien, Kranke, Alte und traumatisierte Menschen muss es ein Bleiberecht geben.
  • Alle seit dem 23.06.2005 – seit dem ersten Appell zur Innenministerkonferenz in Stuttgart – abgeschobenen Menschen, die unter die Neuregelung fallen, müssen zurückkehren dürfen.
  • Eine Bleiberechtsregelung im Bundestag darf nicht mit anderen ausländerrechtlichen Verschärfungen erkauft werden!
  • Schluss mit Abschiebungen!