Reflektionen eines afrikanischen Flüchtlings in Deutschland — über Kolonialisten und den Kolonialisierten

Dieser Beitrag wurde im Rahmer der Podiumsdiskussion „Offene Grenzen für Flüchtlinge und MigrantInnen! Oder Freizügigkeit nur fürs Kapital?“ am 14. November 2006 im EineWeltHaus gehalten. Wir veröffentlichen ihr hier noch einmal.

von Uche Akpulu

Afrika und der Kolonialismus

Über einige Hundert Jahre hinweg sind wir Zeugen allmählicher globaler wirtschaftspolitischer Veränderungen geworden wie sie von westlichen Nationen gehandhabt wurden. Im Mittelalter bestand der transnationale Handel im Wesentlichen in Raubzügen. Als ein Ergebnis des technischen Fortschritts auf dem Transportsektor, wie der Bau von besseren Schiffen, entdeckte Europa andere Gebiete um die Handelsmöglichkeiten zu steigern. Diese Möglichkeiten des Handels schlossen selbstverständlich den Sklavenhandel ein. Als Konsequenz der industriellen Revolution ließ die Notwendigkeit von Sklavenarbeit merklich nach. Dagegen herrschte ein großer Bedarf an Rohstoffen, die man für die europäische Industrie brauchte. Um nun die ununterbrochene Zulieferung der Rohstoffe sicherzustellen, sah man es als notwendig an, jene fremden Länder zu kolonialisieren, in denen diese Rohstoffe vorhanden waren. Im Falle Afrika war das größte Problem für Europa indem sich die Frage stellte „Wer besitzt was in Afrika?“. Zur Lösung dieses Problems lud der deutsche Kanzler Otto von Bismarck in Berlin zu einer Konferenz ein, die am 15. November 1884 begann. Die administrative und politische Landkarte von Afrika wurde während dieser Konferenz gezeichnet. Im Fall Nigeria beschloss Großbritannien einige Landstriche seiner Besitztümer in Westafrika zusammenzuschließen, und so war 1914 Nigeria geboren. Dieser Name war übrigens eine Erfindung von Lady Flora Lugard, der Ehefrau des britischen kolonialen Verwaltungsbeamten Lord Frederic Lugard.

Um die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts herum kam der Kolonialismus aus der Mode und galt als „unmoralisch“. So erachtete man es als notwendig den ehemaligen europäischen Kolonien ihre „Unabhängigkeit“ zu gewähren. Indem man die Unabhängigkeit gewährte, war es dennoch wichtig den Fluss der Rohstoffe nach Europa zu sichern. Um dies zu bewerkstelligen, war es wichtig, die „richtigen“ Personen und solche Bedingungen einzusetzen, damit Europa immer noch die Gebiete unter Kontrolle hat: Der Einstig in den Neo-Kolonialismus. 1960 war Nigeria von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass zwischen 1884 und 1960, einmal abgesehen von unorganisierten Anstrengungen von Seiten der christlichen Missionsstellen, die Einheimischen zu erziehen, keinerlei ernsthafte Bildungsmaßnahmen oder irgend ein Entwicklungsprogramm in Nigeria durch die koloniale Administration unternommen wurde, sondern ausschließlich das Eintreiben von Steuern bei den Menschen dort sowie der Transport außer Landes nach Europa von Agrarprodukten wie Kakao, Erdnüsse, und Palmöl, stattfand. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Nigeria ein Land bestehend aus 150 ethnischen Gruppen mit über 100 Sprachen ist. Weder 1884 während der Konferenz in Berlin noch 1914 als Nigeria entstanden war, hatte man es nicht für nötig gehalten, durch diese Menschen herauszufinden, ob sie jemals eine Nation sein wollten. Die Geschichten anderer afrikanischer Länder unterscheidet sich nur unwesentlich. So sollten wir übrigens nicht vergessen, dass in einigen Fällen wie Zimbabwe, Namibia und Südafrika, die Europäer ein System der Apartheid erschaffen hatten das die einheimischen Menschen in ihrem eigenen Land versklavte und dies hielt bis 1980 an.

Globalisierung und Neo-Kolonialismus

Seit einigen Jahren gibt es eine neue globale ökonomische Politik, die durch die Europäer und die westlichen Nationen angewandt wird. Diese neue Politik nennt man Globalisierung! Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung der Globalisierung ist der ungehinderte Kapitalfluss. Wie dem auch sei, dieser freie Fluss des Kapitals dient nur dazu, mehr Reichtum den westlichen Länder zu verschaffen. Eines der Merkmale der Globalisierung in Aktion ist, den industriellen Produktionsprozess in die Dritte-Welt-Länder zu verlagern um die Vorteile der billigen Arbeitskosten zu nutzen. Das herausragende Ziel von solchen globalen Konzernen ist vor allem, von den niedrigen Arbeitskosten zu profitieren nicht aber den Wert des Arbeitsmarktes zu verbessern! Eine wichtige westliche Institution zur Durchführung der Globalisierung ist die Welthandelsorganisation (WTO). Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht der New York Times geben westliche Nationen ungefähr eine Milliarde Dollars pro Tag an Subventionen an ihre Bauern. Ungefähr 70% dieser Subventionen sind in EU-Ländern. Diese Subventionen fördern die Überproduktion in den westlichen Ländern, die wiederum einen Preisverfall der Agrarprodukte auf dem internationalen Markt zur Folge haben. Was dies bedeutet ist, dass die Bauern der armen Länder wie die Bauern aus Afrika nicht den Preis ihrer Produkte bestimmen können, sondern eher die EU bestimmt den Preis. Es ist festzustellen, dass nur 5% der Bevölkerung der westlichen Nationen Bauern sind, verglichen zu Afrika wo 70% der Bevölkerung Bauern sind. Trotz dringender Appelle über die letzten Jahre von Mitgliedern der Dritten Welt an die WTO, hat die EU es permanent abgelehnt, die Landwirtschaftssubventionen abzuschaffen oder wenigstens cum 50% zu reduzieren, wie es von den USA vorgeschlagen wurde. Was dies bedeutet ist, dass die EU für die Verarmung von 70% der Bevölkerung in Afrika verantwortlich ist.

Es ist nicht schwer zu erkennen, warum Afrika unterentwickelt und arm ist.

Während der Kolonial-Ära waren die Kolonialherren mehr daran interessiert, die natürlichen Ressourcen Afrikas auszuplündern als irgend eine nützliche Entwicklung in Gang zu bringen. In Ländern wie Südafrika wo die Kolonialherren etwas für die Infrastruktur und den ökonomischen Aufbau getan hatten, geschah dies unter absolutem Ausschluss der indigenen afrikanischen Menschen und weil die Kolonialherren das Land als ihr eigenes angesehen hatten und deshalb auch nicht planten, das Land zu verlassen. Die künstliche Gestaltung der Länder Afrikas zusammengesetzt aus unterschiedlichen Menschen und Kulturen ohne die sorgfältige Vorbereitung oder Beratung war ein Rezept für endlose ethnische Konflikte, Kriege und politische und ökonomische Instabilität! In der neo-kolonialen Ära wurden afrikanischen Ländern Schein-Unabhängigkeiten mit den Sympathisanten der kolonialen Herren gewährt, die man an die Macht brachte, um den ungehinderten Fluss der materiellen und finanziellen Ressourcen nach Europa zu gewährleisten. Die Diktatoren und Despoten, die Afrika regieren, fahren fort zu plündern, Kriege anzuzetteln, zu töten und ihre Leute verarmen zu lassen während der Westen zuschaut, weil sie Geschäftspartner des Westens sind. Sie stellen sicher, dass die Banken in der Schweiz, London, Paris, Liechtenstein und Frankfurt gut mit dem Blutgeld aus Afrika versorgt werden, während der Westen für die Versorgung mit Kriegswaffen und Tod sorgt.

Gegenwärtig sorgt die Globalisierung für die Fortdauer des Chaos und der Verarmung.

Alles in allem reichte die globale ökonomische Politik, durchgeführt von Europa, von Piraterie und Barbarei bis zu Kolonialisierung bis zu Neo-Kolonialisierung und letztendlich Globalisierung.

Flüchtlinge in Deutschland

In Afrika haben sich die fortwährenden Auswirkungen der europäischen globalen ökonomischen Politik über die Jahre in endlosen ethnischen Kriegen, politischer Verfolgung hervorgerufen durch politische Instabilität und schlechtes Regieren, alle Formen von Gewalt, Diskriminierung, Terrorismus, Hunger und Armut, manifestiert.

Dies sind die gewöhnlichen Gründe warum Menschen in Afrika aus ihren Ursprungsländern fliehen und zu Flüchtlingen werden. Als ein Flüchtling in Deutschland ist es deshalb eine doppelte Tragödie, dass jemand weiterhin Gegenstand von staatlich verordneter Diskriminierung, Kriminalisierung, Gewalt, Terror, Hunger und Isolation. In Deutschland wird die staatlich verordnete Verfolgung durch das „Asylbewerberleistungsgesetzt“ praktiziert. Unter diesen Gesetzen ist es den Flüchtlingen nicht gestattet to arbeiten um für sich selbst zu sorgen; Flüchtlinge müssen in gefängnisähnlichen Lagern leben, die gewöhnlich abseits von der deutschen Gesellschaft sind, um zu verhindern dass Kontakt zur Bevölkerung und damit eine mögliche Integration entsteht; durch die „Residenzpflicht“ ist es Flüchtlingen nicht erlaubt, außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung zu reisen; Flüchtlinge erhalten 40 Euro Taschengeld im Monat; Flüchtlinge müssen von Essenspaketen, die es zweimal pro Woche gibt, leben, diese müssen zu bestimmten Tageszeiten wie bei Häftlingen angenommen werden; Flüchtlingen ist es nicht gestattet, irgend eine Form von Lernen oder Studieren zu unternehmen; Flüchtling sind diskriminierenden rassistischen und denunzierenden Kontrollen durch die Polizei ausgesetzt, sowohl in ihren Lagern als auch auf der Straße; Flüchtlinge werden auch durch die Polizei und Angestellte der Behörden kriminalisiert; Flüchtlinge werden gegen ihren Willen gewaltsam abgeschoben in Länder von denen sie zuerst geflohen sind.

Im Lichte des vorhergenannten Katalogs von staatlich verordneter Diskriminierung, Gewalt, Terror und Unmenschlichkeit gegen Flüchtlinge in Deutschland, kann man nur fragen: Warum beschwert sich Deutschland als ein Mitglied der westlichen Welt, fortwährend über Diktatoren und Terroristen in anderen Teilen der Welt, wenn Flüchtlinge gleichzeitig in Deutschland terrorisiert werden? Warum predigt Deutschland immer Demokratie und Menschenrechte zu anderen Ländern, während Flüchtlinge gar keine Menschenrechte in Deutschland haben? Warum sendet Deutschland Soldaten nach Afghanistan, Libanon und Kongo während Deutschland der größte Produzent von Kleinwaffen ist? Die einzig mögliche Antwort ist, Überheblichkeit! Nach den Worten des englischen Schriftstellers George Orwell, Deutschland und der Rest des Westens agieren „doppelzüngig“. Dies ist die Kunst Dinge zu sagen, die man nicht wirklich meint. Wie wir alle wohl wissen, ist dies eine wichtige Fertigkeit in der Politik.

Für einen afrikanischen Flüchtling ist die Situation um so schlimmer, da wegen der besonderen Hautfarbe es gewöhnlich zu rassistischen Bemerkungen und Benehmen sogar auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt. Diese Situation hatte möglicherweise einen deutschen Politiker dazu veranlasst, vor der Fußball-Weltmeisterschaft einen Appell herauszugeben, dass dunkelhäutige Menschen bestimmte Gebiete in Berlin meiden sollten.

Die generelle Sichtweise in der Gesellschaft gegenüber afrikanischen Flüchtlingen in Deutschland zeichnet sich dagegen durch klare Anzeichen von tiefer Ignoranz aus. Diese Ignoranz hat zwei Seiten. Die erste Seite der Ignoranz ist die Tatsache, dass die Menschen hier nicht wissen, dass der afrikanische Flüchtling hierher kommt, weil Europa den Fuß in Afrika durch den Kolonialismus, den Neo-Kolonialismus und gegenwärtig der Globalisierung in der Tür hat. Ich will noch einmal Nigeria als Beispiel erwähnen. Nigeria ist wahrscheinlich 20mal reicher als Deutschland. Die größte Baufirma in Nigeria ist Julius Berger, ein deutscher Konzern. Dann ist da noch Strabag, Bilfinger Berger, Dornier, Bouygues u.s.w. Auf dem Ölsektor gibt es Shell, Chevron-Texaco, Exxon-Mobil, Agip, Elf, Saipem u.s.w. Alle diese Konzerne machen mit der nigerianischen Regierung Geschäfte. Diese Firmen investieren kaum nennenswert in Nigeria. Aber, um dort weiter Geschäfte machen zu können, müssen sie sehr gute Geschäftsverbindungen mit der Regierung aufrecht erhalten. Ich möchte nicht ins Detail dieser Beziehungen gehen. Dagegen genügt es anzumerken, dass trotz Nigerias großem Reichtum, 80% der Bevölkerung weiterhin in Armut leben. Die Situation in anderen afrikanischen Ländern ist nicht viel anders.

Zweitens, zum großen Teil als Ergebnis der jüngsten Ereignisse der Überquerung der Flüchtlinge über das Meer von Nord-Afrika aus nach Spanien, gibt es gegenwärtig eine große paranoide Diskussion über die afrikanischen Flüchtlingsströme, die nach Europa kommen. Nach einer Sonderausgabe des „Spiegels“ vom Juni 2006, kamen 1995 insgesamt 128.000 Asylbewerber nach Deutschland, verglichen zu 2005, als nur 29.000 Asylbewerber registriert wurden. Der Artikel schreibt auch, dass vor 30 Jahren die Hälfte aller Asylbewerber eine Anerkennung des Asyls bekamen, verglichen zu heute, wo nur ein Hundertstel also ca. 1% der Asylsuchenden anerkannt wird. Für einen afrikanischen Flüchtling zeigt sich die Statistik noch gravierender. Nach diesem Bericht erhalten nur ein Tausendstel (1/1000) der afrikanischen Flüchtlinge in Deutschland Asyl. Da wundert man sich nur: Warum all diese Hysterie über afrikanische Flüchtlinge? Der Spiegelbericht weiter: „warum werden vor allem Afrikaner so gehässig und aggressiv in Europa empfangen?“.

Zusammenfassung

Zusammenfassend möchte ich darlegen, dass Europa und der Rest des Westens nicht an einer Beendigung der Armut und schlechten Staatsführungen oder irgend einer Entwicklung in Afrika interessiert sind, weil sie von der gegenwärtigen Situation profitieren. Trotz der Tatsache, dass wir alle wissen, dass Entwicklungshilfe nach Afrika nicht die Entwicklung fördert, hat der G8-Gipfel in Schottland 2005 beschlossen, die Entwicklungshilfe für Afrika zu verdoppeln. Für diesen Beschluss gibt es nur zwei Schlussfolgerungen: Erstens, ein gutes Image für die westlichen Nationen. Zweitens, die Tatsache, dass Korruption und schlechte Staatsführung in Afrika sicherstellen soll, dass solche Hilfe letztendlich wieder auf den westlichen Finanzkapital-Markt wie Zürich, London, Frankfurt u.s.w. zurückfließt. In Zeiten, in der Globalisierung für den ungehinderten Fluss des Kapitals sorgt, gewöhnlich zum Vorteil des Westens, gibt es auf der anderen Seite eine verzweifelte gemeinschaftliche Anstrengung, eine „Festung Europa“ zu konstruieren, um die sogenannte „illegale Migration“ abzuwenden. Es ist eine Tatsache, dass in den meisten europäischen Ländern keine Immigrationspolitik vorhanden ist und das schließt die Möglichkeit irgend einer Form der legalen Migration aus. Das bedeutet, dass die „illegale Migration“ gewöhnlich die einzige Alternative für die Einwanderung nach Europa ist. Deshalb ist es auch klar, dass das Konstrukt der „Festung Europa“ nur eine Erweiterung der traditionellen europäischen Apathie ist, Geringschätzung und Abneigung den fremden Menschen und Kulturen gegenüber, die ja überhaupt zuerst zu den fürchterlichen Konsequenzen der kolonialen Abenteuer führten. Weiterhin ist es ein Versuch, die Verlierer und die Konsequenzen ihrer globalen ökonomischen Politik für Jahre auszuschließen.

Das Konstrukt „Festung Europa“ ist ein Versuch, Migration zu kriminalisieren!