Dokumentation: Offener Brief aus Nigeria an Angela Merkel

Wir dokumentieren hier die deutsche Übersetzung eines offenen Briefes nigerianischer Bürgerrechtsgruppen an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie wenden sich gegen die Einladung an den neuen nigerianischen Präsidenten, am G8-Treffen in Heiligendamm teilzunehmen. Denn der neue Präsident, Umar Yar’Adua, kam durch eine Wahl an die Macht, die von der EU-Beobachtungsdelegation als „unglaubwürdig“ bezeichnet wurde.

Angesichts dieser Tatsachen bedeutet die Einladung von Mr. Yar’Adua zu dem G8-Gipfel eine provozierende Billigung dieser unglaublichen Wahl und eine ‚Belohnung‘ derjenigen, die den Tod der über zweihundert Nigerianer, die während der Wahlen sterben mussten, zu verantworten haben.

Quelle der Übersetzung: humanrights.de, auch mit englischem Original.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

unter dem Schirm der ‚Alliance for Credible Elections’ (ACE Nigeria) stehende zivilgesellschaftliche Gruppen in Nigeria erfuhren mit Schock und Unglauben von Ihrer Einladung an Mr. Umar Yar’Adua zum G8-Gipfeltreffen vom 6.bis 8.Juni 2007 in Heiligendamm (BRD).

Zu erklären, dass wir über diese Einladung zutiefst enttäuscht sind, wäre eine erhebliche Untertreibung. Wie Sie wissen, ist Umar Yar’Adua das Produkt einer „Wahl“, die von der Europäischen Wahl-Beobachtungsdelegation als ‚unglaublich‘ beschrieben wurde. Diese Einschätzung wurde von nahezu allen örtlichen und internationalen Beobachtern geteilt, die ebenfalls berichteten, dass diese ‚Wahl‘ nicht nur weit unter internationalen Standards war, sondern ebenfalls unterhalb der Standards, die bei Wahlen in von Kriegen zerrissenen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, Liberia oder Sierra Leone beobachtet worden waren. Dieses war eine Wahl, in der es den nigerianischen Wählern in mehr als fünfzehn Provinzen verweigert wurde, die Opposition wählen zu können; es war eine Wahl, bei der die Wahlbeauftragten voller Absicht sicher stellten, dass die regierende Partei um jeden Preis gewinnen musste, und es war eine Wahl, bei der die Wähler ihres Mandats beraubt wurden, weil unter Gewaltandrohung Wahlurnen mit Massen von gefälschten Stimmzetteln vollgestopft wurden – und schließlich war es eine Wahl, bei der mehr als zweihundert Nigerianer ihr Leben verloren!

Angesichts dieser Tatsachen bedeutet die Einladung von Mr. Yar’Adua zu dem G8-Gipfel eine provozierende Billigung dieser unglaublichen Wahl und eine ‚Belohnung‘ derjenigen, die den Tod der über zweihundert Nigerianer, die während der Wahlen sterben mussten, zu verantworten haben.

Frau Bundeskanzlerin, Ihre Einladung an Mr. Yar’Adua bedeutet auch, seine Teilnahme an einem speziellen, mit dem G8-Gipfel verbundenen Programm ‚Outreach Africa‘, auf dem Programmpunkte wie ‚gutes‘ Regieren, nachhaltige Investitionen, Frieden und Sicherheit in Afrika diskutiert werden. Es ist für uns absolut unverständlich, wie ein Mann, dessen ‚Wahl‘ durch unzählige Wahlmanipulationen wie die oben berichteten zu Stande kam, solche edlen Ideen (wie sie in ‚Outreach Africa‘ besprochen werden sollen) unterstützen kann!

Erstens: Welche Art ‚guten Regierens‘ könnte er unterstützen, wenn von ihm gesagt werden muss, dass ihn das nigerianische Volk nicht gewählt hat?

Zweitens: Welche Art ’nachhaltiger Investitionen‘ kann er fördern, wenn das Kartell, das ihm das Geld gab, mit dem er die Wähler ihrer Mandate beraubte, gegenwärtig das verfügbare Vermögen der nigerianischen Wirtschaft unter sich aufteilt als Belohnung für die begangenen politischen Verbrechen?

Drittens, und vielleicht am wichtigsten: Können wir ernsthaft Frieden, Sicherheit und politische Stabilität unter einer Yar’Adua-Regierung erwarten, die durch solche Art von Wahlen empor gespült worden ist?

Verehrte Frau Bundeskanzlerin, Deutschland kann sich nicht hinter dem Vorwand verstecken, dass die Gastländer von G8-Gipfeln keinen Einfluss darauf hätten, wer als ’special guest‘ eingeladen wird – nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Unsere Ermittlungen zeigten, dass Gastländer von G8-Gipfeltreffen entscheiden, wer als ’special guest‘ eingeladen wird. Daher können wir wirklich nicht verstehen, warum sich Deutschland unter Ihrer Führung in dieser Weise verhält, während ein Staat wie Russland, dessen Demokratie immer wieder angezweifelt wird, mutig dem Druck widerstanden hat, zum letzten G8-Gipfeltreffen in Russland Präsident Obasanjo einzuladen. Dies geschah auf Grund von dessen Bemühungen, die nigerianische Verfassung in einer Weise zu manipulieren, die ihn dauerhaft an der Macht halten sollte.

Vielleicht sind es Deutschlands ökonomischen Interessen in Nigeria, die Sie zwingen, auf Kosten Ihrer Unterstützung sowohl der Demokratie als auch den Wünschen und Erwartungen des nigerianischen Volkes, Umaru Yar’Adua einzuladen. Wenn das der Fall wäre, würde es äußerst bedauerlich sein. Wir hatten von Ihrer Präsidentschaft erwartet, dass Sie Schritte unternehmen, um das schlechte Ansehen Deutschlands in Nigeria zu korrigieren, das auf Grund der Unterstützung von und der Zusammenarbeit mit Militärdiktatoren wie General Ibrahim Babangida und Sani Abacha (entgegen den Empfehlungen der internationalen Gemeinschaft, sich von ihnen zu distanzieren und Solidarität mit dem leidenden nigerianischen Volk zu zeigen) entstanden war.

Von allen internationalen Wahl-Beobachtern war Ihre Gruppe, die der Europäischen Union, die beste. Sie stationierten Beobachter überall im Land schon Monate vor den Wahlen; Ihr Chef-Beobachter, sein Stellvertreter und die Angestellten trafen sich mit vielen Menschen und erwarben unser Vertrauen. Deren Berichte über die Wahl sowie über die Manipulationen durch die Regierung und die Regierungspartei waren klar und streng und zeigten dem nigerianischen Volk, dass Europa die Demokratie wichtig ist. Dass Sie Ihre eigenen Berichte ignorieren, mit ‚business as usual‘ fortfahren und die Vergewaltigung der Demokratie in Nigeria dulden, erscheint unerklärlich. Warum entsenden Sie solch eine hervorragende Delegation, wenn Sie dann deren Bericht ignorieren? Warum betonen Sie die Verpflichtung zu gutem Regieren und Demokratie, wenn Sie dann den Nutznießer von schlechtem Regieren und Korruption einladen? Warum wollen Sie Europa so heuchlerisch erscheinen lassen in den Augen von uns allen, die so hart für dieselbe Demokratie kämpfen, die Sie angeblich so hoch halten?

Frau Bundeskanzlerin, noch besteht die Möglichkeit, diese üblen Entwicklung abzuhelfen um zu vermeiden, Europa (und die Bundesrepublik als Gastgeberin und einladendes Land) für die Welt im Allgemeinen und Nigeria im Besonderen in einem sehr schlechten Licht erscheinen zu lassen. Sie sollten es sich nicht leisten, die Bundesrepublik als ein Land darzustellen, das demokratische Prinzipien nicht wahrt und den Respekt vor Menschenrechten in seinen internationalen Beziehungen außer Acht lässt. Wir bitten Sie inständig, diese Einladung nochmals zu erwägen und sie im Interesse einer Stärkung der Demokratie in Nigeria zurückzuziehen. Andernfalls bleibt uns keine andere Wahl, als die Zivilgesellschaft in Deutschland und überall in der Welt zu mobilisieren, um den Protest gegen Ihre Handlungsweise während des G8-Gipfels wirkungsvoll auszudrücken.

Mit den besten Wünschen,

Emma Ezeazu
General Secretary
www.acenigeria.org

22. Mai 2007