Abgeordnetenbriefe, Antwort Dr. Axel Berg, SPD

Die Bleiberechtsdebatte ist nach wie vor aktuell. Die Karawane München ist schon eine Weile an diesem Thema dran und hat Anfang 2007 bei allen Bundestagsabgeordneten aus München angefragt, wie ihre Position zum Bleiberecht aussieht. Die Antworten (und Fragen jeweils darunter) wurden nach und nach hier auf der Website veröffentlicht, die meisten sind parallel auch auf www.abgeordnetenwatch.de zu finden. So kann sich jeder ein Bild machen, wo die einzelnen Parlamentarier bezüglich des Aufenthaltsrechts grundsätzlich stehen – und bei Interesse selbst weiter nachfragen. Hier die nach fast einem Jahr eingetroffene Antwort von Dr. Axel Berg, SPD.

25.01.2008

Sehr geehrte (…),

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 21. Februar. Bitte verzeihen Sie meine verspätete Antwort – als einziger Münchner SPD-Abgeordneter erreichen mich eine Vielzahl von Anfragen, und dann kam letztes Jahr noch ein Personalwechsel hinzu.

Sie fragen in Ihrer E-Mail nach meiner Meinung zum Thema Zuwanderung und Integration. Ich denke, dass Deutschland sich der Tatsache stellen muss, dass es ein Einwanderungsland ist. Heute leben in der Bundesrepublik Deutschland ca. 7,3 Millionen Menschen ohne deutschen Paß. Viele von ihnen sind auf Anwerbung als Gastarbeiter oder als deren Familienangehörige gekommen. 30% aller Ausländerinnen und Ausländer leben bereits seit 20 Jahren und länger und fast die Hälfte seit mindestens 10 Jahren unter uns. Etwa zwei Drittel der Kinder mit ausländischem Paß sind keine Zuwanderer, sondern hier geboren. Wer legal und dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebt, wer arbeitet und Steuern zahlt, der ist kein Gast, der ist Bürgerin oder Bürger dieses Landes. Gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten für möglichst alle Mitbürgerinnen und Mitbürger machen die Gesellschaft zwar noch nicht konfliktfrei. Sie festigen aber das Fundament, auf dem der soziale Frieden erhalten und vertieft werden kann. Aus diesem Grund haben wir das Ausländergesetz ersetzt und wichtige Schritte in Richtung Zuwanderung und Integration gemacht.

So sollte das Aufenthaltsgesetz 2004 die Praxis der Kettenduldung in Deutschland beenden. § 60a des Gesetzes sieht zwar weiter die Duldung in Form einer „vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung“ vor. Doch zugleich legt § 25 mit Blick auf humanitäre Gründe fest, dass „einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist“, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne, wenn die vorgesehene Ausreise und damit eine Abschiebung aus „rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist“. Ein Ende der Kettenduldung sollte sich aus dem darauf folgenden Satz des Gesetzes ergeben, der vorschreibt: „Eine Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist.“ Es ist richtig, dass dies allein noch nicht gereicht hat, um Kettenduldungen abzustellen – da die Ausführung und Auslegung des Gesetzes Ländersache ist, wird dieser Paragraph auch unterschiedlich gehandhabt. Viele Bundesländer sahen zum Beispiel nur schwere Krankheit als Ausreisehindernis an. Mit der Reform des Gesetzes im August letzten Jahres haben wir dieses Problem, als auch die von Ihnen angesprochene Altfallregelung in Angriff genommen.

Die Altfallregelung, die auf den Beschlüssen der Innenministerkonferenz vom November 2006 beruhte, führte nur bei 14.750 Personen zur Erteilung des Aufenthaltsrechts. Zusätzlich erhielten 28.000 Personen eine Duldung, um sich einen Arbeitsplatz suchen zu können, wobei anzunehmen ist, dass der Großteil von diesen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten wird. Die gesetzliche Altfallregelung setzt nämlich, anders als die Regelung der Innenministerkonferenz, nicht voraus, dass der Geduldete einen Arbeitsplatz hat.
Darüber hinaus gehören zu dem Kreis der potentiell Begünstigten die rund 25.000 Geduldeten, über deren Antrag auf Bleiberecht noch nicht entschieden wurde, sowie diejenigen, die erst nach dem IMK-Beschluss die Voraussetzungen erfüllen, insbesondere die Voraufenthaltszeit von acht bzw. sechs Jahren.
Die Reform des Zuwanderungsgesetzes erleichtert außerdem auch für Geduldete, die nicht unter die Altfallregelung fallen, die Arbeitssuche. Sie erhalten nach vier Jahren einen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang. Von derzeit ca. 154.780 Geduldeten leben rund 87.570 Personen seit länger als sechs Jahren hier und von diesen wiederum ca. 60.270 seit über acht Jahren in Deutschland. Nach dem 31. Dezember 2009 wird die Aufenthaltserlaubnis nur verlängert, wenn für die Zukunft Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt sichern kann und er nachweist, dass er in der Vergangenheit überwiegend erwerbstätig war. Außerdem erhalten gut integrierte Kinder von geduldeten Ausländern unter erleichterten Voraussetzungen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt in Richtung Integration gemacht haben und bin zuversichtlich, dass die Praxis der Kettenduldungen damit nur noch die Ausnahme sein wird.

Sie schreiben, dass der Mangel an Arbeitsplätzen es vielen Geduldeten nicht ermöglicht, berufstätig zu sein. Die hohe Arbeitslosigkeit von Ausländern beruht aber zum Großteil auf einer geringeren sprachlichen und beruflichen Qualifikation und nicht auf dem Mangel an Arbeit; dies verringert Einstellungschancen und vergrößert das Risiko den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Arbeitslosenquote unter der ausländischen Bevölkerung betrug 2005 25,5%, was doppelt so viel ist wie die Arbeitslosenquote der deutschen Staatsbürger. Deshalb denke ich, dass es sinnvoll ist, den Erwerb von Sprachkenntnissen in den Vordergrund stellen – dies ist im Eigeninteresse der Ausländer, denn so finden sie nicht nur schneller Arbeit, sondern haben es auch erheblich leichter, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, Freunde zu finden und sich zu Hause zu fühlen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Axel Berg MdB

Wahlkreis München Nord, SPD, www.axel-berg.de

axel.berg@wk.bundestag.de

……..

21.02.2007

Sehr geehrter Herr Dr. Berg,

bald steht die Entscheidung im Bundestag zum Bleiberecht, bzw. der Novellierung des Aufenthaltsgesetztes an. In diesem Zusammenhang wenden wir uns an Sie als Mitglied des Bundestags, und bitten Sie uns Ihre Meinung bzw. Ihre Position zu diesem Thema zu erläutern. Auf Ihrer Website ist zu lesen, dass Sie sich u.a. “ für Integration und klar geregelte Zuwanderung“ einsetzen. Wir wüssten gerne, was das genau bedeutet?
Der Beschluss der Innenministerkonferenz bedeutet einen einmaligen „Gnadenerlass“, der nur für Menschen gilt, die vor einem bestimmten Stichtag eingereist sind. Eigentlich sollte das Zuwanderungsgesetz die Praxis von „Kettenduldungen“ abschaffen, bislang ist das leider nicht passiert – und die Situation ist für die ungefähr 200.000 Geduldeten unerträglich. Wie stehen Sie zu der Alternative eines verankerten Rechtsanspruchs auf gesicherten Aufenthalt, der auch später eingereisten ein „Hineinwachsen“ in ein Aufenthaltsrecht ermöglicht?
Um ein Bleiberecht zu erhalten, muss der zuvor Geduldete Arbeit finden – das würden die Betroffenen ja auch sehr gerne, aber nur allzu oft ist es ihnen aus Mangel an Arbeitsplätzen nicht möglich. Die inhumane Konsequenz ist dann, dass eine Familie, die mehr als sechs Jahre hier lebt und Kinder hat, die hier geboren wurden und zur Schule gehen, abgeschoben wird – finden Sie das angemessen und menschenwürdig?
Eine Fülle von Ausschlusskriterien führt dazu, dass die meisten Geduldeten kein Bleiberecht erhalten. Wer zum Beispiel mehrfach beim Schwarzfahren erwischt wurde, während seines Lageraufenthalts nicht genug Deutsch gelernt oder sich gegen seine Abschiebung gewehrt hat, der soll kein Bleiberecht erhalten – ist das auch Ihre Position?
Nicht zuletzt werden im Zuge der Bleibrechtsregelung weitere Verschärfungen im Ausländerrecht angekündigt – glauben Sie, dass derartige Neuregelungen tatsächlich zur besseren Integration beitragen werden?

Karawane München